5 Fragen an
Ludger Neuwinger-Heimes
1. In ihrem Geschäftsbericht drückt die Freudenberg-Gruppe aus, wie sehr sich das Unternehmen gegenüber seinen Kunden und der Gesellschaft verantwortlich fühlt. Ein wesentlicher Bereich dieser Verantwortung ist das Thema Nachhaltigkeit. Das Unternehmen ist bereits 2014 dem UN Global Compact beigetreten und strebt in vier Schritten eine Klimaneutralität bis 2045 an. Was bedeutet dieses Bekenntnis zur Nachhaltigkeit konkret für die Freudenberg Sealing Technologies als größtem Unternehmen im Konzern?
Als größte Freudenberg-Geschäftsgruppe sind wir uns unserer Verantwortung gegenüber unseren Kunden und der Gesellschaft bewusst. Unser Bekenntnis zur Nachhaltigkeit und damit zum langfristigen Denken und Handeln ist seit der Gründung von Freudenberg vor fast 175 Jahren Teil unserer Unternehmenswerte und damit fest verankert in der DNA jeder Führungskraft. Wir tun das zum einen aus der Verantwortung gegenüber allen Stakeholdern heraus, aber auch um die wirtschaftlichen Chancen für unser Unternehmen aufzuzeigen und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Wir haben in wenigen Jahren ein umfangreiches, innovationsstarkes Produktportfolio für die Elektromobilität aufgebaut und damit den Wandel der Automobilindustrie weg vom Verbrennungsmotor hin zu nachhaltigen Antrieben entscheidend geprägt. Aber auch in anderen Industrien haben wir uns als innovationsstarker Zulieferer etabliert, beispielsweise mit unseren Produkten für die grüne Energieerzeugung durch Windkraftanlagen oder Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion.
Beim Blick auf unseren eigenen Footprint konzentrieren wir uns darauf, alle unsere Prozesse und Produkte so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Wir haben viele Initiativen gestartet, um Energie zu sparen, Prozesse zu optimieren, Abfall zu reduzieren und die Energieeffizienz von Gebäuden zu verbessern. Denn nachhaltiges Wirtschaften heißt für uns, Material und Energie bewusst einzusetzen und den CO2-Ausstoß bei der Produktion zu minimieren. Diesen – verringerten – Energiebedarf haben wir bereits zu einem großen Teil elektrifiziert und den benötigten Strom beziehen wir zunehmend aus erneuerbaren Energien. Bis 2030 wollen wir unseren Strombedarf ausschließlich aus erneuerbaren Energien beziehen und bis 2045 wollen wir ein vollständig klimaneutrales Unternehmen sein.
Die Finanzfunktion spielt bei dieser Aufgabe eine wichtige Rolle, indem sie die Transparenz über die Auswirkungen der Maßnahmen liefert. Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit sind für uns kein Widerspruch, aber Prioritäten müssen richtig gesetzt werden.
2. Inwieweit verändert die Nachhaltigkeitstransformation auch die Aufgaben der Finanzfunktion im Konzern und insbesondere in den einzelnen Konzernunternehmen wie der Freudenberg Sealing Technologies?
Die Nachhaltigkeitstransformation erfordert eine entsprechende Berichterstattung und verändert Geschäftsmodelle, beispielsweise zu ESG, Lieferketten, Taxonomie etc. Denn wir müssen uns mit der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmensstrategie und in das Risikomanagement auseinandersetzen. Außerdem gilt es, die Auswirkungen auf die Bilanz und das Ergebnis unseres Unternehmens zu bewerten. Und nicht zu vergessen die Investitionen: Die Finanzfunktion muss sicherstellen, dass alle relevanten Nachhaltigkeitsaspekte bei der Bewertung von Investitionen berücksichtigt werden.
Bei Freudenberg Sealing Technologies hat die Finanzfunktion die Verantwortung für die ESG-Berichterstattung übernommen. Das bedeutet, dass wir ein Berichtswesen mit Kennzahlensystem auflassen und pflegen müssen. Dazu kommt, dass die erhobenen Daten auditierbar sein müssen.
3. In Ihrem Vorstandsressort werden die Themenbereiche Finanzen und IT gebündelt. Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für den Finanzbereich bei Freudenberg Sealing Technologies? Wie würden Sie den Digitalisierungsstand Ihrer Finanzprozesse beschreiben?
Wir definieren Digitalisierung sehr großzügig und verwenden den Begriff im Zusammenhang mit Automatisierung und Prozessoptimierung. Wir betreiben Digitalisierung mit einer klaren Zielsetzung. Die entscheidenden Fragen lauten: Wie können wir den Kunden kostengünstiger oder schneller bedienen? Wie machen wir unsere internen Prozesse weniger fehleranfällig, schneller und effizienter? Wie können wir Kosten sparen? Diese Fragestellungen sind für uns nichts Neues, denn wir digitalisieren seit vielen Jahren: Wir haben beispielsweise vor geraumer Zeit ein globales ERP-System mit einem hohen Standardisierungsgrad eingeführt, das wir jetzt kontinuierlich weiterentwickeln und das uns die Transparenz für schnelle evidenzbasierte Entscheidungen bietet. Daneben investieren wir in die Automatisierung der Produktion. Da bieten sich uns unglaubliche Chancen. Oder wir können mithilfe künstlicher Intelligenz riesige Datenmengen binnen kürzester Zeit verarbeiten, zum Beispiel bei automatisierter, optischer Qualitätsprüfung oder im Maschinen-Benchmarking. Wichtig aber ist, dass wir diese Daten auch richtig verstehen und interpretieren. Wir laufen keinem Hype hinterher und versuchen, unsere Digitalisierungsstrategie unabhängig von externen Beratern zu entwickeln.
Insbesondere die Zusammenarbeit in globalen Teams profitiert von der Digitalisierung extrem. Durch die technischen Möglichkeiten kann man wunderbar international arbeiten, viel besser als vorher. Das erfordert aber einen anderen Denkansatz, denn man muss die Aufgaben anders definieren und verteilen.
4. Welche Kompetenzen müssen die Beschäftigten im Finanzbereich zukünftig mitbringen, um diese sowie weitere zahlreichen Herausforderungen erfolgreich zu meistern?
Zum einen benötigen die Beschäftigten ein tiefes Verständnis für unser Geschäft. Es ist wichtig, dass sie Zahlen und Ergebnisse richtig interpretieren können. Sie müssen die Werttreiber im jeweiligen Geschäft verstehen und für die anderen Funktionen transparent darstellen können. Es gilt, Dinge im Kontext für das strategische Unternehmensziel bewerten zu können: Beschäftigte im Finanzbereich sollten in der Lage sein, die Auswirkungen ihrer Arbeit auf das gesamte Unternehmen zu verstehen und Empfehlungen zu geben, die die langfristigen Ziele des Unternehmens unterstützen.
Das Wissen, wie man Berichte und Analysen erstellt, wird immer weniger benötigt. Der Jahresabschluss war früher ein wichtiges Ereignis –erfolgt heutzutage jedoch weitgehend automatisiert. Auch die Zusammenarbeit mit den Wirtschafts- und Steuerprüfern läuft immer mehr über digitale Analysetools.
<<REF 04/2023 S. 52Die Beschäftigten im Finanzbereich müssen neugierig sein und bereit für eine ständige Weiterbildung. Das sagen wir zwar schon seit vielen Jahren. Aber die modernen Tools entwickeln sich schneller und erfordern eine größere Transferleistung, denn sie haben eine größere Komplexität. Zum Beispiel KI-Tools wie ChatGPT haben großes Potenzial – die Beschäftigten müssen solche Anwendungen und deren Fallstricke kennen.
Zusammengefasst: Wir benötigen eine agile Belegschaft, die bereit ist, viele Veränderungen mitzutragen. Der Kulturwandel im Unternehmen hat längst begonnen. Digitalisierung und Automatisierung machen viele Routineaufgaben überflüssig oder sie werden von Maschinen übernommen. Wir arbeiten heute völlig anders als noch vor 10 Jahren. Wir denken mehr strategisch und weniger transaktional.
5. Und nun die Abschlussfrage, die wir allen CFOs im Rahmen dieser Interviewreihe stellen. Einige Unternehmen stellen den Controllern Business-Analysten zur Seite, die sie mit dem erforderlichen Analytics-Know-how unterstützen. Andere Unternehmen denken langfristig über einen Ersatz von Controllern nach. Wohin geht die Reise in Ihrem Unternehmen?
Unsere Controlling-Instrumente und -Strukturen haben einen hohen Stellenwert im Unternehmen. Das Erstellen von Berichten ist schon lange nicht mehr im Fokus der Controller. Stattdessen sind sie unmittelbar in die Entscheidungsprozesse aller Funktionen im Unternehmen integriert. Sicherlich brauche ich Spezialisten, die uns helfen, die großen Datenmengen zu strukturieren und die technischen Möglichkeiten in vollem Umfang auszuschöpfen. Deshalb sehe ich die Business-Analysten eher als Ergänzung denn als Konkurrenz für die Controller. Diese Teams müssen in Zukunft Hand in Hand arbeiten.
Für mich gehört zu einer Analyse eine ganzheitliche Bewertung der Entscheidungssituation. Und das übernehmen bei uns die Controller in den operativen Einheiten. Beispielsweise haben wir in dem umfassenden Transformationsprozess weg von Produkten für den Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität Datencockpits entwickelt, die uns einen genauen Kompass geben, wie sich unsere Modelle verändern, wenn sich bestimmte Parameter im Markt ändern. Unsere Controller müssen diese Cockpits verstehen und beherrschen. Dafür müssen sie sich die notwendige Analysefähigkeit aneignen, für die technischen Themen haben wir die Data Scientists.
5 Fragen, gestellt von Prof. Dr. Ute Vanini.