Neuer Präsident im BFH
RiBFH Prof. Dr. Franceska Werth
Die Stelle des Präsidenten des BFH ist nach langer Vakanz wieder besetzt worden. Dies gibt Anlass, einen Blick auf die im Jahr 2022 zu erwartenden Entscheidungen des BFH zu werfen.
Nachdem die Stelle des Präsidenten des BFH aufgrund einer Konkurrentenklage eineinhalb Jahre unbesetzt geblieben ist, wurde Dr. Hans-Josef Thesling am 25.01.2022 zum neuen Präsidenten des BFH ernannt. Er übernimmt den Vorsitz des IX. Senats, der für die Besteuerung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie der gewerblichen Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften zuständig ist. Die zügige Besetzung der Präsidentenstelle nach der Entscheidung des BVerfG über die Konkurrentenklage durch den neuen Bundesminister der Justiz, Dr. Marco Buschmann, ist ein gutes Zeichen. Sie führt zu einer Stärkung der Finanzgerichtsbarkeit, die dem neuen BFH-Präsidenten Dr. Thesling als ehemaligem Präsidenten des FG Düsseldorf bestens bekannt ist. Wie sein Vorgänger im Amt, Prof. Dr. h.c. Mellinghoff, gezeigt hat, ist die Stimme des Präsidenten des BFH als höchstem Vertreter der Finanzgerichtsbarkeit in der nationalen und internationalen Steuerrechtswelt von gewichtiger Bedeutung. Wir wünschen dem Präsidenten des BFH Dr. Thesling einen guten Start im neuen Amt.
Die neu beginnende Präsidentschaft von Herrn Dr. Thesling ist Anlass für einen Ausblick auf eine Auswahl der im Jahr 2022 zu erwartenden Entscheidungen des BFH:
Der BFH wird darüber entscheiden, ob der Antrag eines US-amerikanischen Pensionsfonds auf Erstattung von Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG im Zusammenhang mit Cum/Ex-Geschäften zu Recht abgelehnt wurde. Das FG Köln hatte die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 19.07.2019 – 2 K 2672/17 (EFG 2020 S. 367) abgewiesen. Mit Spannung zu erwarten ist, wie der BFH nach der Entscheidung des BGH vom 28.07.2021 – 1 StR 519/20 (DB 2021 S. 2490) die Cum/Ex-Geschäfte beurteilen wird.
In diesem Verfahren stellt sich die Frage, ob die typisierte Berechnung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen mit 6% der Überentnahmen angesichts des strukturellen Niedrigzinsniveaus gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und das Übermaßverbot verstößt. Streitjahre sind die Jahre 2013-2016. Das FG-Düsseldorf hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.05.2019 – 15 K 1131/19 G,F). Das BVerfG hat in Bezug auf die Verzinsung nach § 233a i.V.m. § 238 AO in seinem Beschluss vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14 entschieden, dass der Zinssatz von 6% ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig ist.
Der BFH wird zu entscheiden haben, ob USt-Vorauszahlungen in den Monat Dezember fallen, die zwar innerhalb kurzer Zeit nach dem Jahreswechsel geleistet wurden, aber aufgrund einer dem Stpfl. gewährten Dauerfristverlängerung erst später fällig waren. Dies wurde vom FG Düsseldorf (Urteil vom 09.12.2019 – 3 K 2040/18 E) bejaht, hingegen vom FG Sachsen (Urteil vom 15.01.2020 – 5 K 1578/19) verneint. Ein klassischer Fall der Divergenz, die der BFH durch seine Entscheidung lösen muss.
Die Klägerin zahlte ihren Arbeitnehmern ein Entgelt für die Anbringung eines mit Werbung des Arbeitgebers versehenen Kennzeichenhalters an deren privaten Fahrzeugen. Der BFH hat darüber zu entscheiden, ob dieses Entgelt Arbeitslohn darstellt und die Klägerin für die nicht einbehaltene und abgeführte LSt haftet. Das FG Münster hat dies in seinem Urteil vom 03.12.2019 – 1 K 3320/18 L bejaht.
Der Kläger hat (gemeinsam mit weiteren Personen) im Wege der Sachspende einen GmbH-Anteil unentgeltlich auf eine gemeinnützige Körperschaft übertragen. Die gesamte GmbH hatte einen Wert von etwa 80 Mio. €. Der übertragene Anteil lautete auf 89% des Stammkapitals; mit ihm waren aber nur 1% der Gewinnbezugs- und Stimmrechte verbunden. Zu klären ist, ob für die Höhe des einkommensteuerlichen Spendenabzugs nach § 10b EStG der Anteil am Stammkapital der GmbH (Spendenwert: 89% von 80 Mio. €) oder die Beteiligung am Gewinn und an den Stimmrechten (Spendenwert: 1% von 80 Mio. €) maßgeblich ist. Das FG Münster hat sich in seinem Urteil vom 20.05.2020 – 7 K 3210/17 E,F für die zweite – für den Kläger ungünstigere – Variante entschieden.
Zu klären ist, ob bei der Aufteilung der Jahreseinkommensteuerschuld in eine gegen das insolvenzfreie Vermögen gerichtete Forderung einerseits und in eine gegen die Insolvenzmasse gerichtete Forderung andererseits der Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG allein bei der Besteuerung des insolvenzfreien Vermögens des Stpfl. zu berücksichtigen ist. Nach Auffassung des FG Sachsen (Urteil vom 05.02.2020 – 5 K 1387/19) bedarf die Insolvenzmasse keines Schutzes eines Existenzminimums, sodass der Grundfreibetrag nur dem Insolvenzschuldner zugutekommen soll.
Im Rahmen eines Aufhebungsvertrags vergütete der Arbeitgeber dem Kläger 330 Überstunden, die dieser über einen Zeitraum von drei Jahren geleistet hatte. Der BFH hat zu entscheiden, ob diese Vergütung als „außerordentliche Einkünfte“ (§ 34 EStG) mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern ist. Das FG Münster hatte dies in seinem Urteil vom 23.05.2019 – 3 K 1007/18 E bejaht.
Zur Entscheidung steht die Frage, ob die vertraglich auf den Mieter eines Gewerbegrundstücks umgelegte GrSt bei diesem nach § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG dem Gewinn wieder hinzuzurechnen ist, obgleich sie bei einem auf eigenem Grundstück betriebenen Gewerbebetrieb nicht hinzugerechnet würde. Dies hatte das FG Köln in der Vorentscheidung vom 21.02.2019 – 10 K 2174/17 verneint.
GrESt wird bei Umstrukturierungen im Konzern nicht erhoben, wenn ein herrschendes Unternehmen an dem Rechtsvorgang beteiligt ist. Der BFH wird entscheiden müssen, ob allein der an der Konzernspitze befindliche Rechtsträger das herrschende Unternehmen in einer Beteiligungskette i.S.d. § 6a GrEStG sein kann. Das FG Düsseldorf hatte dies in seinem Urteil vom 20.05.2020 – 7 K 820/17 GE verneint und der Klage stattgegeben.
Der BFH wird sich mit der Frage befassen, ob bei der Einfuhr von Waren, die von einem verbundenen Unternehmen (hier: japanische Muttergesellschaft) bezogen wurden, der Zollwert bei nachträglichen Verrechnungspreisanpassungen im Rahmen der Transaktionswertmethode nach Art. 29 ZK herabzusetzen und zu viel gezahlter Zoll zu erstatten ist. Das FG München hat dies in seiner Entscheidung vom 15.11.2018 – 14 K 2028/18 verneint.
Gegenstand des Verfahrens ist unter anderem die Frage, ob ein Golfclub die Allgemeinheit fördert, wenn er von Neumitgliedern eine „Eintrittsspende“ in der Größenordnung von 20.000 € erwartet, die jedoch nur auf freiwilliger Basis zu leisten ist und deren Nichtzahlung auch nicht mit Nachteilen für das jeweilige Mitglied verbunden ist. Insoweit stellt sich zudem die übergeordnete Frage, ob bei kostspieligen Sportarten eine Förderung der Allgemeinheit i.S.d. § 52 AO ausgeschlossen ist, wenn ein Durchschnittsverdiener die Kosten der Vereinszugehörigkeit nicht tragen kann. Das FG Berlin-Brandenburg hat dies in seinem Urteil vom 07.10.2020 – 8 K 8260/16 verneint und der Klage des Golfclubs stattgegeben.