Abschied vom „gelben Schein“
Abschied vom „gelben Schein“

Abschied vom „gelben Schein“

RAin/FAinArbR Kathrin Vossen

Die papiergebundene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung soll ab dem 01.01.2021 der Vergangenheit angehören und durch eine elektronische Version ersetzt werden. Die Bundesregierung hält dies für einen wichtigen Beitrag zur Entlastung insb. der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie. Das könnte sich indes als Irrtum erweisen.

RAin/FAinArbR Kathrin Vossen
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Nach 2015 und 2017 gibt es auch im Jahr 2019 ein Bürokratieentlastungsgesetz. Das „Dritte Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie“, das vom Bundestag am 24.10.2019 verabschiedet wurde und dem der Bundesrat am 08.11.2019 seine Zustimmung erteilte, wird zum 01.01.2021 u.a. die Einführung einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung mit sich bringen. Nach dem Beschluss des Deutschen Ärztetages aus Mai 2018, das Verbot der Fernbehandlung zu lockern und die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch Nutzung der Telemedizin zu ermöglichen, ist dies ein weiterer Schritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ein Schritt, der die Interessen der Arbeitgeber unmittelbar berührt.

Zentrale Rolle der ärztlichen Bescheinigung

Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spielt im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) eine zentrale Rolle: Der Arbeitnehmer hat gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG spätestens am vierten Kalendertag eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Der Arbeitgeber darf die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung aber auch zu einem früheren Zeitpunkt verlangen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG). Solange der Arbeitnehmer seiner Nachweispflicht nicht nachkommt, darf der Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verweigern (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG). Bislang stellte der behandelnde Arzt nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitnehmer eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit in dreifacher Ausfertigung aus: eine zur Einreichung bei der Krankenkasse, eine zur Einreichung beim Arbeitgeber und eine zum Verbleib beim Arbeitnehmer.

Mit schöner Regelmäßigkeit kommt es in der Praxis beim Nachweis der Arbeitsunfähigkeit zu Unregelmäßigkeiten. Entweder wird die ärztliche Bescheinigung vom Arbeitnehmer zu spät oder gar nicht eingereicht, oft geht sie auf unerklärliche Weise auf dem Weg zum Arbeitgeber verloren. Eine Vielzahl arbeitsgerichtlicher Entscheidungen zu § 5 Abs. 1 EFZG zeugt jedenfalls davon, wie störanfällig dieses Prozedere ist. Hinzu kommt der unbestreitbare Verwaltungsaufwand, der in den Personalabteilungen durch Kontrolle, Bearbeitung und Archivierung der ärztlichen Atteste anfällt. Und jetzt soll alles besser werden.

Abruf der Daten durch den Arbeitgeber

Die Idee scheint ja erst einmal bestechend: Zeitgleich mit der Einführung eines elektronischen Verfahrens zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Ärzte an die Krankenkassen durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wird es dem Arbeitgeber zum 01.01.2021 ermöglicht, eigenständig bei der zuständigen Krankenkasse elektronisch sowohl die Daten zu Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit abzurufen als auch zum Zeitpunkt des Auslaufens der Entgeltfortzahlung. Damit entfallen zumindest zwei der drei papiergebundenen Ausfertigungen der ärztlichen Bescheinigung. Zudem werden unnötige Abrufe von Vorerkrankungszeiten durch den Arbeitgeber bei den Krankenkassen zur Überprüfung der Entgeltfortzahlungspflicht vermieden, sodass insgesamt nicht nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch die Krankenkasse Entlastung erfahren sollen.

Dafür wird § 5 EFZG zum 01.01.2021 geändert: Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber wie bislang unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer auf geeignete Weise informiert (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG bleibt unverändert), muss er nach dem neu eingefügten § 5 Abs. 1a EFZG zukünftig am vierten Kalendertag oder auf Verlangen des Arbeitgebers zu einem früheren Zeitpunkt das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer ärztlich feststellen lassen. Dies gilt indes nur, wenn der Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert ist. Nachdem die Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitsdaten vom behandelnden Arzt erhalten hat, muss sie gemäß dem ebenfalls neuen § 109 SGB IV eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber erstellen, die den Namen des Beschäftigten, den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Datum der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung enthält.

Vollständig Abschied nehmen von der papiergebundenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wollte der Gesetzgeber allerdings nicht, misstraut er doch augenscheinlich dem Stand der dafür notwendigen Technik im Land. Der neue § 5 Abs. 1a EFZG sieht nämlich auch vor, dass sich der Arbeitnehmer vom behandelnden Arzt eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform aushändigen zu lassen hat, die die für den Arbeitgeber bestimmten Daten enthält. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll dem Arbeitnehmer damit in Störfällen, etwa bei einer fehlgeschlagenen Übermittlung im elektronischen Verfahren, der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung ermöglicht werden. An dieser Papierbescheinigung soll festgehalten werden, bis ein für den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit geeignetes elektronisches Äquivalent dazu mit gleich hohem Beweiswert zur Verfügung steht. Ob dies der Fall ist, soll in regelmäßigen Zeitabständen geprüft werden.

Abbau von Bürokratie?

Der große Wurf ist die geplante Änderung des § 5 EFZG damit nicht.

Natürlich ist es nachvollziehbar, dass etwaige Schwächen in der elektronischen Infrastruktur einer Datenübermittlung zwischen Ärzten, Krankenkassen und Arbeitgebern nicht zulasten der Arbeitnehmer gehen können. Nicht erkennbar ist allerdings, warum der Gesetzgeber mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung nicht noch gewartet hat, bis sich das elektronische Verfahren zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Ärzte an die Krankenkassen etabliert und vor allem bewährt hat. Die Störungsanfälligkeit des Verfahrens und damit weiteres Konfliktpotenzial für die Arbeitsvertragsparteien hat der Gesetzgeber offensichtlich schon „eingepreist“.

Darüber hinaus bleibt eine Reihe von weiteren Fragen offen. Dies betrifft zum einen die Gruppe der privat versicherten Arbeitnehmer, für die die bisherigen Bestimmungen des § 5 Abs. 1 EFZG in unveränderter Form fortgelten. Diese Arbeitnehmer haben auch zukünftig ärztliche Bescheinigungen auf Papier beizubringen. Die Personalabteilung muss also zukünftig bei der weiteren Abwicklung einer angezeigten Arbeitsunfähigkeit nach dem Krankenversicherungsstatus des Arbeitnehmers unterscheiden. Nach Bürokratieabbau klingt das nicht.

Zum anderen wird der Arbeitgeber bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern zukünftig keine Kenntnis mehr vom Namen des Arztes erlangen, der die Arbeitsunfähigkeit feststellt, da dieser nicht Gegenstand der übermittelten Daten sein wird. Bislang aber konnte der nach der Rechtsprechung des BAG bekanntlich hohe Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung auch dadurch erschüttert sein, dass sie von einem Arzt ausgestellt wurde, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsmeldungen auffällig geworden ist, vgl. § 275 Abs. 1a Satz 1 SGB V.

In vielen Standardarbeitsverträgen sind zudem die bisherigen gesetzlichen Regelungen zum Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage der (papiergebundenen) ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgebildet. Bleiben die arbeitsvertraglichen Regelungen unverändert, entsprechen sie jedenfalls für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer ab dem 01.01.2021 nicht mehr den gesetzlichen Vorschriften. Nach § 12 EFZG darf von den Vorschriften des EFZG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Da der Gesetzgeber die elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung als Entlastung auch des Arbeitnehmers und als Mittel zur Vermeidung von Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber versteht, ließe sich dies durchaus als Abweichung zuungunsten des Arbeitnehmers verstehen. Ähnliches dürfte für vertragliche Vereinbarungen gelten, die eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Vorlage der ihm ausgehändigten Papierbescheinigung an den Arbeitgeber vorsehen. Ob der Arbeitgeber aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten berechtigt sein könnte, Auskunft über die Person des behandelnden Arztes zu verlangen, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsmeldung erschüttern zu können, dürfte äußerst fraglich sein.

Vordergründig mag der Wegfall der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung als Abbau bürokratischen Aufwands und Entlastung insb. der mittelständischen Wirtschaft erscheinen. Es muss sich indes erst noch erweisen, ob die Neuregelung tatsächlich zur Vereinfachung der betrieblichen Abläufe beiträgt.

§ 5 EFZG - Anzeige- und Nachweispflichten
§ 5 EFZG - Anzeige- und Nachweispflichten

§ 5 EFZG - Anzeige- und Nachweispflichten

(1) 1Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. 2Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauf folgenden Arbeitstag vorzulegen. 3Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. 4Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. 5Ist der Arbeitnehmer Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, muss die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die